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Fahrt in die Erinnerungen

Frau H. war mit einem Blöckchen samt Stift in die Rikscha gestiegen und wollte sich Notizen über die Fahrt machen. Am Ende stand nichts im Block, keine Silbe. Ob ich ihr meine Adresse geben würde, fragte sie beim Verabschieden. Drei Tage später hatte ich Post, fein säuberlich mit dem PC verfertigt. Da Frau H. kürzlich verstorben ist, mache ich ihren Brief öffentlich - ihr zur Ehre und zum Andenken! R.I.P.
Das Foto
(von Astrid Piethan) hat damit natürlich nichts zu tun - außer dem Stichwort Karneval.

 

Mit Herrn M. ging es in vollem Ornat zum Treffen mit dem Trifolium (Dreigestirn). Das hat ihn vermutlich dann qualifiziert, um im Jahr darauf auf dem Wegen der Roten Funken mitzufahren.
Mit Herrn M. ging es in vollem Ornat zum Treffen mit dem Trifolium (Dreigestirn). Das hat ihn vermutlich dann qualifiziert, um im Jahr darauf auf dem Wegen der Roten Funken mitzufahren.

 Lieber Herr Riedl,  (handschriftlich)

am Dienstag, den 16.4. um 15.00 Uhr holten Sie uns, meine liebe Mitbewohnerin und mich vom XXX-Haus Köln, zur Rikscha-Rundfahrt ab.

Es war eine Freude in so ein blumengeschmücktes zweisitziges Gefährt zu steigen, wir wurden gut mit dem Gurt befestigt. Wie Sie in die Pedale traten, rollten Sie uns auf die andere Straßenseite mit Sicht auf den Rhein und die vielen Ausflugsschiffe. Der herrliche Sonnenschein lockte nicht nur uns auch viele Spaziergänger und Fahrradfahrer an das Rheinufer.

Sehen da, Klingeln hier, Lachen wo anders, manchmal Holpern, dann wieder Hinweise von Ihnen auf die Sehenswürdigkeiten, dann ein kurzer Halt mit Beschreibung kölscher Geschichte. Wir wurden von Passanten bewundert, uns wurde zugewinkt, unsere Köpfe waren in allen Richtungen beweglich. Wir gaben uns gegenseitig Hinweise, lachten über uns und die anderen. Hörten Ihnen, lieber Herr Riedl, gern zu, waren dankbar, dass wir sehen und hören konnten; ich fragte oft nach Straßennamen.

In mir kamen viele Erinnerungen, denn ich kam als Ost-Berlinerin vor 69 Jahren mit einem liebenden Herzen als Flüchtling am Haupt-Bahnhof an.

Köln sollte für mich zur 2. Heimat werden.

Mein damaliger Kölner Bekannter, der sein Studium gerade hinter sich hatte, suchte für mich ein Zimmer. Doch die Stadt Köln hatte die Auflage für eine Anmeldung:

1. Wohnung oder 1. Arbeit - beides hatte ich nicht, Köln lag noch in den Trümmern.

Es wurden hohe Mietpreise verlangt, meistens mit einem Baukostenzuschuss. Manchmal durfte man ihn abwohnen, oft war er verloren. Mein Bekannter mit Arbeitskollegen hatten die Idee, im Nebenhaus-Neubau für mich ein Zimmer auszubauen. Zugang nur über das Treppenhaus mit Leiter, doch keine Toilette. Die Liebe vollbrachte Wunder. Ich zog dort ein.

Sie sehen, lieber Herr Riedl, durch die Rikscha Fahrt wurden die so alten Erinnerungen neu geweckt. Sie wurden stärker mit einer großen Dankbarkeit für so viel freundliche, helfende Kölner, die ich kennenlernte, die mir auch das Kölner Leben mit Karneval verständlich machten.

Ich bekam sofort Arbeit am Fließband bei einer Textil-Firma. Ich habe Achtung vor dieser Arbeit bekommen. Die spätere Büro-Arbeit gab mir Sicherheit. Köln wurde für mich vielseitig. Die älteren Kölner beschützten mich als 22-Jährige und die Liebe zu meinem Bekannten verstärkte sich zur Hochzeit 1954.

Mir kamen durch die Rikscha-Fahrt immer neue Erinnerungen an das Gartenhaus, an unser Einfamilien-Haus für die Familie mit unseren 4 Kindern, an die frohe Nachbarschaft, an die vielen Bildungsangebote an Schulen und für mich als Erwachsene. Die VHS, UNI und andere Bildungseinrichtungen, die Stadt Köln brauchte Zeitzeugen, auch an Schulen.

Der Beruf meines Mannes gab uns finanzielle Sicherheit.

Die Erinnerungen gaben mir auf der Fahrt unendliche Kraft und Dankbarkeit. Die Stolperfallen wurden zu Hopsern auf dem Sitz und Sie, lieber Herr Riedl, entschädigten uns mit einem „Eishörnchen" mit besonderer Aussicht. Für mich unvorstellbar, die bunte Schlösserparade über die Brücke. Nach fast 2 Stunden mit vollen Gefühlen waren wir wieder an unserem Haus.

Mit dieser Projekt-Idee „Radeln ohne Alter e.V." mit der Rikscha und Ihrem Verein wollen Sie

§  „Brücken bauen zwischen den Generationen"

§  „Erinnerungen wecken"

§  “Geschichten teilen"

§  “Gemeinsam Lachen"

§  „Nachbarschaften stärken"

§ „Den Wind in den Haaren spüren"

Sie sehen, welch eine Freude von Gefühlen Sie und Ihr Verein bei mir ausgelöst haben.

Auch meine Mitbewohnerin hat diese Fahrt genossen.

Für alles möchte ich von Herzen "Danke" sagen

mit ganz herzlichen Grüßen

 

M.H. 91 Jahre  (handschriftlich)

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Therese (Sonntag, 23 April 2023 14:34)

    Mir sind beim Lesen die Tränen in die Augen gestiegen - was für eine wunderschöne Geschichte vom Leben! Vielen Dank!