· 

Hände

 

Nicht nur das schlaue Daherreden, auch die Arthrose an den Fingern habe ich von meinen weiblichen Vorfahren geerbt. Als Mädchen bestaunte ich Omas knubbelige Hände und deren artistischen Einsatz beim Kartoffelschälen.

 

Die Hände meiner Mutter waren immer ihr Werkzeug gewesen; sie war keine Handarbeiterin oder Schönschreiberin, sondern erntete und verarbeitete Gemüse, wrang Aufnehmer aus, wusch und hing Wäsche auf. Hausfrau war ihr Beruf, und das machte sie richtig gut!
Ihre Hände aber waren in meinen Augen die schönsten der Welt: schmale kräftige Finger mit ovalen Nägeln, auf jedem Nagel der kleine weiße Halbmond und die perfekte Proportion von Finger und Handteller.

 

Jahre später, lang dem Elternhaus entflogen, schaute ich meiner Mutter über die Schulter, die mir etwas Interessantes in der Zeitung zeigen wollte. Dabei fiel mein Blick auf ihre Hände und erstarrte. Wo waren Mutters schöne, feine Finger geblieben? Was ich gesehen hatte, waren die arthritischen Knubbelfinger meiner Oma.

 

Ohne dass ich etwas dagegen machen konnte, fing ich an zu weinen – vor Traurigkeit und Scham. Nie hatte ich ihr gesagt, wie sehr ich ihre Hände bewunderte. Und ich hatte nicht bemerkt, dass sie alt geworden war.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    MM (Donnerstag, 23 April 2020 13:35)

    "die Hände meiner Mutter" - ein schönes Thema für biographisches Arbeiten. Danke für Deinen Beitrag.